Die Begegnung in Nizza

Ich möchte dir eine Geschichte erzählen. Vielleicht ist das keine sehr spannende Geschichte – ich bin mir sogar sicher, dass du bereits unzählige Geschichten kennst, die spannender sind als diese. Dennoch finde ich, dass diese kurze Geschichte es wert ist, erzählt zu werden.

Eines Tages, als ich in Nizza Urlaub machte, kam ich mit einer Frau ins Gespräch. Sie erzählte mir, dass sie am gestrigen Tag einen Ausflug gemacht hatte, und zwar mit einer Fähre auf eine nahegelegene Insel.
   „Allerdings“, sagte sie, „habe ich mich spontan zu diesem Ausflug entschlossen, als ich an der Promenade spazieren ging. Dabei hatte ich nur ein Beutel, in dem sich eine Flasche Wasser und eine Stranddecke befanden.“
   Sie erzählte mir noch, die Fähre sei um Punkt 12 Uhr mittags abgefahren und dass während der kurzen Fahrt noch die Durchsage kam, die letzte Abfahrt der Fähre von der Insel zurück zum Festland würde um 19 Uhr erfolgen.
   „Auf der Insel dann“, so ging ihre Erzählung weiter, „habe ich zunächst ganz gemütlich die Insel umrundet, was ungefähr 3 Stunden gedauert hat. Danach ließ ich mich einfach an einem ruhigen Ort etwas abseits der Wege am Wasser nieder, wo ich über das Leben nachdenken konnte, während im Hintergrund das Rauschen des Wassers und das angenehm klingende Kreischen der Schwalben zu hören war. Und so, in mir selbst versunken, verging Stunde um Stunde, während es langsam dunkel wurde. Da ich aber weder mein Mobiltelefon, noch eine Uhr dabei hatte, konnte ich auch nicht wissen, wie spät es war und wie viel Zeit mir noch bis zur neunzehnten Stunde blieb, der Zeit, zu der die Fähre zum letzten Mal an diesem Tag zur Insel abfuhr. Doch mir war einfach nicht danach aufzustehen und zur Anlegestelle zu gehen, obwohl ich wusste, dass ich mich jetzt langsam auf den Weg machen musste, weil ich im Hintergrund einige wenige Leute reden hörte, die bereits auf dem Weg dorthin waren.“
   Auf meine Frage hin, wie die Geschichte weiterging, antwortete sie: „Wissen Sie, an der Stelle, an der ich seit Stunden saß und über das Leben nachdachte, befanden sich in meinem Blickfeld, etwa 50–100 Meter vor mir, viele kleine Boote und einige große Boote. Es waren sogar einige Yachten dabei. Und als wieder Zeit verging und ich keine Stimmen mehr hörte und wusste, dass die letzte Fähre bereits abgefahren war, erkannte ich in diesem Augenblick, was eines der wichtigsten Dinge im Leben ist: es ist das Vertrauen. Vertrauen darauf, dass sich alles schon fügen wird. Darauf, dass am Ende immer alles gut enden wird. Und nicht unbedingt erst am Ende des Lebens – bereits am Ende des Tages. Also sprang ich ins Wasser, schwamm zu den Booten hin und schrie einfach hinaus: ‚Hallo! Gibt es hier jemanden, der mich zum Festland bringen kann? Hab die letzte Fähre verpasst.‘
   „Und“, frage ich, „hat’s geklappt?“
   Ihre Antwort: „Soweit ich mich erinnern kann, war nicht ein Bootsbesitzer dabei, der nicht gerufen hätte: ‚Sofort oder wollen Sie erst noch eine Runde schwimmen?‘“

Ein Kommentar:
Aus vielen unserer Eindrücke, ob durch das hören, das sehen oder das lesen – wie in diesem Fall durch das Lesen dieses Textes – können wir eine Menge wertvoller Erkenntnisse für unser Leben mitnehmen (sofern wir natürlich auch mit der Perspektive durchs Leben schreiten, aus jeder Situation, in der wir uns befinden, eine Erkenntnis gewinnen zu können). Wenn wir uns die Frage stellen, worum es in diesem Text hier geht, können wir unter anderem erkennen, dass es darum geht, dem Leben einfach mal zu Vertrauen, auch in vermeintlich „besorgniserregenden“ Umständen. (Das Wort «besorgniserregend» ist in Gänsefüßchen gekennzeichnet, weil es ein Adjektiv ist und daher relativ, womit gemeint ist, dass an sich keine Situation besorgniserregend ist; nur wir selbst können eine Situation besorgniserregend machen.) Anders formuliert kann man sagen, dass wir öfter einfach „ins kalte Wasser springen“ können (eben so, wie die Frau aus dieser Geschichte hier – nur war das Wasser, in das sie gesprungen ist, eher warm als kalt), weil der liebe Gott stets an unserer Seite ist und für uns in jeder Lage schon (irgendwie) eine Lösung parat haben wird.

Um dein Mitteilungsbedürfnis zu stillen...